Judo ist ein Weg zur Leibesertüchtigung und darüber hinaus auch eine Philosophie zur Persönlichkeitsentwicklung. Zwei philosophische Grundprinzipien liegen dem Judo im Wesentlichen zugrunde. Zum einen das gegenseitige Helfen und Verstehen zum beiderseitigen Fortschritt und Wohlergehen und zum anderen der bestmögliche Einsatz von Körper und Geist.
Ziel ist es, diese Prinzipien als eine Haltung in sich zu tragen und auf der Judomatte bewusst in jeder Bewegung zum Ausdruck zu bringen. Ein Judo-Meister hört demnach im Idealfall niemals auf, Judo zu praktizieren, auch wenn er nicht im Dōjō (Trainingshalle) ist. Die beiden Säulen des Judo sind im traditionellen Sinne meist der Formenlauf, jap. Kata, und der Übungskampf, jap. Randori. Das heutige Judo ist stark von den Wettkampftechniken der letzten Jahre dominiert und wird dementsprechend von sogenanntem Techniktraining geprägt, bei dem gezielt dafür geeignete Techniken trainiert werden.
Die Wurzeln
Mit dem Aufstieg der Kriegerklasse Ende des 12. Jahrhunderts erlebten die Kampfkünste einen starken Aufschwung. Das kulturelle Geschehen wurde immer mehr vom Geist der Bushi bestimmt. In dieser Zeit entwickelten sich die Ursprünge des legendären Ehrenkodexes, der später von Nitobe als Bushido beschrieben wurde.
Im Japan der Ashikaga-Epoche (1136–1568) entwickelten sich unterschiedliche waffenlose Nahkampfsysteme: Eine Variante war Kogusoku (kleine Rüstung). Diese Kampfart war nach den in dieser Zeit neu entwickelten leichteren Rüstungen benannt. In der Literatur und den historischen Dokumenten aus dieser Zeit finden sich weitere Nahkampfsysteme wie Tai-Jutsu (‚Körperkunst‘), Torite (‚Ergreifen der Hände‘), Koshi-no-Mawari (‚Hüfteindrehen‘), Hobaku (‚Ergreifen‘), Torinawajutsu (‚Kunst des Ergreifens und Verbindens‘).
In der Mitte des 16. Jahrhunderts führten die Portugiesen die Schusswaffen in Japan ein und die Kriegskünste – bugei mit Schwert, Pfeil und Bogen – verloren auf dem Schlachtfeld an Bedeutung. Ihre Traditionen wurden aber in der Edo-Zeit fortgeführt und im Sinne des Prinzips Bunbu (literarische Bildung und militärische Praxis) zur Pflicht gemacht.
Über die Entstehung des Jiu Jitsu existieren unterschiedliche Berichte, die einen legendenhaften Charakter haben. Ihr historischer Wahrheitsgehalt ist schwer nachzuweisen. Die poetisch schönste ist sicherlich die Legende des Arztes Akiyama Shirobei aus Hizen, der in China Medizin und die Kunst der Selbstverteidigung studierte haben soll. Wieder in Japan, zog er sich in einen Tempel namens Dazai-Tenjin zurück. Der Überlieferung nach war es Winter, und am 21. Tag im Tempel setzte starker Schneefall ein. Er betrachtete die Bäume; ihm fiel auf, dass viele Äste unter der Last des Schnees brachen, die des Weidenbaums aber wegen ihrer Elastizität nachgaben und den Schnee abgleiten ließen. Auf Grund dieses Vorgangs soll der Arzt Shirobei das Prinzip des „Ju“ – Nachgebens – in der Kampfkunst eingeführt haben. In der ersten Hälfte der Edo-Epoche (17./18. Jahrhundert) entwickelten sich unzählige Jiu-Jitsu- oder artverwandte Schulen – jap. Ryu.
Mit dem Ende der Tokugawa-Zeit und der Öffnung Japans kam es auch zu starken Veränderungen in der japanischen Gesellschaft. Durch die Meiji-Reform kam es zu einer Fülle von staatlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Reformen. Die japanischen Künste wurden stark zurückgedrängt, alles „Westliche“ hatte Vorrang. Doch schon zu Beginn der 1880er-Jahre gab es eine Rückbesinnung in Bezug auf die geistlichen und sittlichen Werte.
Kanō Jigorō (1860–1938) wuchs in diesem Japan der extremen Veränderungen auf. Er lernte Jiu Jitsu an verschiedenen Schulen wie der Tenshinshinyo-Ryu und der Kito-Ryu.
1882 gründete Kanō Jigorō seine eigene Schule, den Kodokan (‚Ort zum Studium des Weges‘) in der Nähe des Eisho-Tempels im Stadtteil Shitaya in Tokio. Er nannte seine Kunst Judo, da das Kanji (Schriftzeichen) Ju sowohl ‚sanft‘ als auch ‚Nachgeben‘ bedeuten kann und das Zeichen Do ebenfalls mit ‚Grundsatz‘ und nicht nur mit ‚Weg‘ übersetzt werden kann.
Sein System bestand neben Wurftechniken (Nage Waza) aus Bodentechniken (Ne Waza) sowie Schlag-, Tritt- und Stoßtechniken (Atemi Waza), die u. A. dem System der Kito-Ryu und der Tenshinshinyo-Ryu (traditionelle Jiu Jitsu Schulen, bei denen Kanō mittlerweile das Menkyo-Kaiden, die universelle Lehrerlaubnis bzw. Meisterwürde innehatte) entnommen wurden. Es war sogar eine kleine aber feine Sparte Waffentechnik (z. B. mit Schwert und Stöcken) im Curriculum vorhanden. Kanō selektierte aber auch viele Techniken aus, welche dem von ihm gefundenen obersten Prinzip „möglichst wirksamer Gebrauch von geistiger und körperlicher Energie“ widersprachen. Dass er dabei aber alle „bösen“ Techniken entfernt hätte, die geeignet sind, einen Menschen ernsthaft zu verletzen oder zu töten, ist ein weitverbreiteter Irrtum. (Spätestens beim Studium der Katas wie Kime-no-Kata oder der Kodokan Goshin-Jitsu tritt dieser Irrtum offen zutage.)
Im Laufe der Zeit (insb. ab 1947, nachdem das Kodokan nach 2-jähriger Zwangspause nach dem Zweiten Weltkrieg wiedereröffnet wurde) veränderte sich Judo immer mehr vom Nahkampfsystem zum Wettkampfsport. Schlag-, Tritt- und andere, den Gegner ernsthaft verletzende Techniken wurden als für den Wettkampf unnötig nicht mehr unterrichtet und gerieten dadurch z. T. in Vergessenheit. Die verbliebenen Techniken sind hauptsächlich Würfe, Falltechniken und Bodentechniken. Entgegen der landläufigen Meinung gehören Schlag- und Tritttechniken nach wie vor immer noch zum Judo. Allerdings werden Schläge und Tritte, wie auch manch andere gefährlichere Techniken im heutigen Judo, wenn überhaupt erst in den höheren Graduierungen unterrichtet.
Judo setzte sich in Japan allerdings erst durch, als die Schüler Kanos (zuvor Jiu Jitsuka) im Jahre 1886 einen regulären Kampf zwischen der Kodokan-Schule und der traditionellen Jiu Jitsu-Schule Ryoi-Shinto Ryu für sich entscheiden konnten. Aufgrund dieses Erfolges verbreitete sich Judo in Japan rasch und wurde bald bei der Polizei und der Armee eingeführt. 1911 wurde Judo an allen Mittelschulen Pflichtfach. Es wird behauptet, Kano habe das Judo durchaus als ernstzunehmende Selbstverteidigungskunst inklusive Schlägen und Fußtritten konzipiert (ohne die ein Sieg über Ryoi-Shinto Ryu nicht möglich gewesen wäre).
Der Weg in den Westen
1906 kamen japanische Kriegsschiffe zu einem Freundschaftsbesuch nach Kiel. Die Gäste führten dem deutschen Kaiser ihre Nahkampfkünste vor. Wilhelm II. war begeistert und ließ seine Kadetten in der neuen Kampfkunst unterrichten. Der damals bedeutendste deutsche Schüler war der Berliner Erich Rahn, der im Jahre 1906 die erste deutsche Jiu-Jitsu-Schule gründete. Weitere Pioniere im Judo sind Alfred Rhode und Heinrich Frantzen (Köln). 1926 fanden in Köln im Rahmen der 2. Deutschen Kampfspiele die ersten Deutschen Judo (Jiu-Jitsu)-Meisterschaften statt. 1932 wurde im Frankfurter Waldstadion die erste internationale Judo-Sommerschule durchgeführt. Anlässlich der Judo-Sommerschule wurde am 11. August 1932 der Deutsche Judo-Ring gegründet. Erster Vorsitzender wurde Alfred Rhode. Der Begriff Judo setzte sich, wie schon im restlichen Europa, auch in Deutschland durch. 1933 besuchte Kanō Jigorō mit einigen Schülern auf einer Europareise auch Deutschland und gab Lehrgänge in Berlin und München.
Im August 1933 wurde Judo von den Nationalsozialisten in das Fachamt Schwerathletik des Deutschen Reichsbundes eingegliedert und verlor damit seine Eigenständigkeit. Die letzten Deutschen Meisterschaften in der NS-Zeit fanden 1941 in Essen statt. Die ersten Judo-Europameisterschaften wurden 1934 im Kristallpalast in Dresden ausgerichtet. 1975 in München war das Geburtsjahr der ersten Frauen-Europameisterschaften.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war Judo bis 1948 durch die Alliierten verboten. 1951 fanden in Frankfurt die ersten Deutschen Meisterschaften nach dem Zweiten Weltkrieg statt. 1952 wurde das Deutsche Dan-Kollegium (DDK) (Vorsitz: Alfred Rhode) und 1953 der Deutsche Judobund (Vorsitz: Heinrich Frantzen) gegründet. 1970 wurden in Rüsselsheim die ersten Deutschen Meisterschaften der Frauen ausgerichtet.
Bei den Olympischen Spielen in Tokio 1964 war Judo erstmals als olympischer Sport zu sehen. Der aus Köln stammende Wolfgang Hofmann gewann als erster Deutscher eine Silbermedaille bei den Olympischen Spielen. Zu diesem Anlass brachten die Deutsche Bundespost und auch die Deutsche Post der DDR eine 20-Pfennig-Briefmarke mit Judomotiv heraus. 1968 bei den Olympischen Spielen in Mexiko-Stadt wurde Judo zunächst wieder aus dem olympischen Programm gestrichen. Seit 1972 bei den Olympischen Spielen in München gehört Judo beständig zum Olympischen Programm. War Judo zunächst eine Männerdomäne, so wurde 1988 Frauen-Judo bei den Olympischen Spielen in Seoul als Demonstrationswettbewerb vorgestellt. Seit den Olympischen Spielen in Barcelona 1992 ist auch Frauen-Judo im olympischen Programm.
1956 fanden in Tokio die ersten Weltmeisterschaften statt. Damals gab es allerdings nur eine offene Gewichtsklasse. 1961 bei den dritten Weltmeisterschaften in Paris wurden dann erstmals Gewichtsklassen eingeführt. Dort gelang es dem Niederländer Anton Geesink erstmals die Vormachtstellung der Japaner zu brechen und die japanischen Judoka zu besiegen.
Im Jahre 1988 war Judo erstmals bei den Paralympics in Seoul mit dabei. Seit 2004 in Athen gibt es auch Frauen-Judo im Programm der Sommer-Paralympics. Judo wird bei diesen Spielen von Blinden und Menschen mit geringem Sehvermögen praktiziert. Die paralympischen Athleten folgen denselben Regeln wie die Nichtbehinderten. Eventuelle Defizite werden durch zusätzliche Regelungen ausgeglichen. So besteht ein wesentlicher Unterschied darin, dass sich die Kämpfer und Kämpferinnen zur besseren Orientierung vor Kampfbeginn berühren dürfen.
Heute wird Judo in über 150 Ländern ausgeübt und ist damit die weitest verbreitete Kampfsportart der Welt.
Quelle: Wikipedia